- Chemienobelpreis 1984: Robert Bruce Merrifield
- Chemienobelpreis 1984: Robert Bruce MerrifieldDer amerikanische Wissenschaftler erhielt den Nobelpreis für seine einfache und geniale Methode zur Herstellung von Peptiden und Proteinen.Robert Bruce Merrifield, * Fort Worth (Texas) 15.7.1921; Chemiestudium an der University of California in Los Angeles, Promotion 1949, dann Forschungsassistent am Rockefeller Institute for Chemical Research in New York, seit 1966 Professor an der Rockefeller University in New York; schuf mit der Festphasensynthese ein neues Reaktionsprinzip, das die Synthese komplexer Peptide und Proteine ermöglichte und darüber hinaus Anwendung bei der Synthese von Polynucleotiden (»Genmaschinen«) fand.Würdigung der preisgekrönten LeistungMerrifields Erfindung eines neuartigen Syntheseprinzips gehört zu denjenigen naturwissenschaftlichen Leistungen, die nicht unmittelbar neue Einsichten über die Natur vermitteln, sondern die ein grundsätzliches technisches Problem lösen und damit bislang unzugängliche Forschungsgegenstände erschließen.Merrifield hatte 1949 als Forschungsassistent des kanadischen Biochemikers Dilworth Wayne Woolley am Rockefeller Institute for Medical Research (ab 1955 Rockefeller University) in New York mit Arbeiten zur Peptidchemie begonnen. Dabei lernte er die Mühen der Peptidsynthese nach dem klassischen, von dem deutschen Chemiker Emil Fischer (Nobelpreis 1902) begründeten Verfahren gründlich kennen. Merrifields Meisterstück bestand in der Synthese eines Pentapeptids, dessen Darstellung ihm in einem Zeitraum von elf Monaten mit einer Ausbeute von sieben Prozent gelang. Am 26. Mai 1959 fixierte er zum ersten Mal in seinem Laborjournal in schriftlicher Form die Idee zu einer kontinuierlichen stufenweisen Synthese von Peptiden. »Wir brauchen«, notierte er, »eine schnelle, quantitative, automatische Methode zur Synthese langkettiger Peptide.«Das Problem der klassischen PeptidsynthesenPeptide sind organische Verbindungen, die durch Kondensation, das heißt Reaktion unter Abspaltung eines Wassermoleküls, von Aminosäuren entstehen. Je nach der Anzahl der in einem Peptidmolekül aneinander kondensierten Aminosäuren spricht man von Oligo- (zwei bis neun Aminosäuren) oder Polypeptiden (zehn bis 100 Aminosäuren), bei längeren Ketten von Proteinen. Etwa 20 verschiedene natürliche Aminosäuren bilden die Bausteine der in den Lebewesen enthaltenen Eiweißstoffe. Viele Hormone und Transportmoleküle sowie die meisten Enzyme gehören zu dieser Substanzklasse.Obwohl die Chemie der Peptidbindung im Prinzip einfach ist, bereitete die Synthese in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten. Jede Aminosäure besitzt mindestens zwei funktionelle Gruppen, das heißt reaktive Zentren, eine basische Amino- (-NH2) und eine saure Carboxylgruppe (-COOH), die miteinander reagieren können. Das hat zur Folge, dass die Reaktion zweier Aminosäuren A und B zu vier verschiedenen Produkten führen kann, nämlich AB, BA, AA und BB. Um das gewünschte Produkt zu erhalten, müssen durch die Einführung so genannter Schutzgruppen an bestimmten reaktiven Zentren die unerwünschten Reaktionswege unterdrückt werden. Zwar beherrschte man dieses Verfahren in den 1950er-Jahren schon relativ gut, doch die Zahl der Arbeitsschritte blieb hoch, die Synthesen waren langwierig und die Ausbeuten gering. Synthesen von Proteinen oder langkettigen Peptiden waren damit faktisch unmöglich. Nach den gängigen Verfahren hätte die Darstellung einer Kette aus 100 Aminosäuren eine Ausbeute von 0,003 Prozent ergeben.Das Prinzip der Festphasen-SyntheseMerrifields Idee war es, eine feste Trägersubstanz zu verwenden, an der die Aminosäuren in der gewünschten Sequenz nach und nach ankondensiert werden konnten. Nach jahrelanger, mühevoller und oft erfolglos erscheinender Arbeit fand er schließlich in chlormethyliertem Polystyrol die geeignete feste Matrix.1962 präsentierte er die erste erfolgreiche Synthese eines Tetrapeptids nach dem neuen Verfahren. Danach wird die erste Aminosäure über ihre Säurefunktion an der Chlormethylgruppe des Polystyrols verankert. Nach Entfernung ihrer Aminoschutzgruppe kann die zweite, wiederum aminogeschützte Aminosäure ankondensiert werden, daraufhin die dritte und so weiter.Die Technik der Aminoschutzgruppen ist also weiterhin erforderlich, doch viele der zuvor benötigten Reinigungs-, Kristallisations- und Trennungsverfahren, die immer mit Substanzverlusten verbunden waren, entfallen bei der Merrifield-Synthese. Da die Reaktanden im Überschuss eingesetzt werden können, die an der festen Phase verankerten Peptidketten unlöslich sind und nur ein Reaktionsgefäß erforderlich ist, lässt sich die Ausbeute der einzelnen Reaktionsstufen auf bis zu 99,5 Prozent erhöhen. Die Gesamtausbeute einer 100-stufigen Synthese konnte auf 61 Prozent gesteigert werden.Entsprechend verkürzten sich auch die Zeitspannen der Synthesen. Bereits in der Frühphase der neuen Methode zeigten sich ihre enormen Vorteile. So ließen sich im selben Zeitraum 50 Peptide nach dem Merrifield-Verfahren herstellen gegenüber drei nach dem klassischen.Schon 1965 stellte Merrifield einen ersten Apparat zur automatischen Peptidsynthese vor. Damit konnte die Zeitdauer eines Synthesezyklus auf vier Stunden verkürzt werden. Die Sequenz der aneinander kondensierten Aminosäuren, die Abfolge der Reagenzzugaben, die Reinigungsprozeduren sowie die abschließende Abtrennung des Peptids vom Polystyrolträger wurden zu programmierbaren Vorgängen.AnwendungenDie Einführung der Festphasensynthese war für die biochemische Forschung von weit reichender Bedeutung. Die Merrifield-Methode ermöglicht die Synthese von komplexen Proteinen oder Proteinabschnitten und erlaubt damit gezielte Untersuchungen ihrer biochemischen Aktivität und Funktion.Das erste totalsynthetisch hergestellte natürliche Protein war Ribonuclease A, ein aus 124 Aminosäuren bestehendes Enzym. Neben der Demonstration der Leistungsfähigkeit seines Verfahrens eröffnete Merrifield mit dieser spektakulären Synthese im Jahr 1971 neue Möglichkeiten der Enzymforschung. Da an synthetischen Proteinen anders als an natürlichen gezielt strukturelle Veränderungen vorgenommen werden können, ließen sich nunmehr neuartige Studien der Struktur-Funktions-Beziehungen von Enzymen durchführen.Kommerzielle Anwendung fand die Merrifield- Synthese bei der Herstellung von Lachs-Calcitonin, das zur Behandlung der Paget-Krankheit, einer Knochenerkrankung, eingesetzt wird. Von aktueller Bedeutung sind Peptidsynthesen bei der Entwicklung synthetischer Impfstoffe gegen Virus- und andere Infektionskrankheiten.Das Reaktionsprinzip ließ sich auf andere Monomere übertragen. So gelang in anderen Laboratorien die Synthese von Polyamiden, Polysacchariden, Oligo- und Polynucleotiden (»Genmaschinen«). Die chemische Synthese von Oligonucleotiden hat wesentlich zur Entzifferung des genetischen Codes beigetragen. Sie ist darüber hinaus von Bedeutung für die Analyse von DNS und als Lieferant von DNS-Abschnitten, die in der Gentechnik Verwendung finden.J. Berger
Universal-Lexikon. 2012.